Burnout bei Autismus- meine Erfahrungen mit chronischer Überbelastung, Reizüberflutung und tiefer Erschöpfung

System collapsed- Burnout bei Autismus

Ein Burnout bei Autismus wird häufig übersehen oder fehlinterpretiert- von Fachkräften und manchmal auch von uns selbst. Und so wusste auch ich nicht, warum ich seit meinem Auszug von Zuhause vor Vier Jahren irgendwie einfach nicht mehr funktioniere, alles zu viel ist, ich ständig überfordert und erschöpft bin. Vermutlich war diese radikale Veränderung ein Auslöser dafür, was sich jahrelang angestaut hat. Chronische Überbelastung, dauerhafte Reizüberflutung und der Versuch, in der für neurotypische Menschen ausgelegten Welt zu überleben- all das fing an, sich zu rächen und eskalierte vor wenigen Monaten nach meinem letzten Klinikaufenthalt.

 

In unserer Rubrik Wissenswertes findet ihr einen ausführlichen und wissenschaftlich fundierten Bericht zum Thema Autistischer Burnout.

 

Mit diesem Erfahrungsbericht möchte ich meine ganz eigene Geschichte teilen und für alle schreiben, die Ähnliches erleben. Die sich fragen, was los mit ihnen ist, warum sie „nichts auf die Reihe kriegen“ und dennoch erschöpft sind und, die denken, sich einfach noch mehr anstrengen zu müssen.

Radikale Veränderung Auszug von Zuhause- ich funktioniere nicht mehr

Es ging mir bereits vor meinem Auszug schlecht. Ich war psychisch belastet, habe viel zu viel gearbeitet.

Ich hatte keine Energie mehr für irgendwas, habe nur gearbeitet und wollte dann meine Ruhe. Ich hatte das Gefühl, ausbrechen zu müssen. Ein Umbruch und eine Veränderung- ich dachte, genau das zu brauchen. Meinen Auszug wollte ich unbedingt, ich habe ihn mir erkämpft.

 

Doch dann wurde alles richtig schlimm. Mein erster richtiger Umzug war eine radikale Veränderung.

Vielleicht macht es neurotypischen Menschen nichts aus. Aber ich wusste einfach nicht, wie ich in dieser neuen Wohnung leben soll. Also buchstäblich: Wie. Alles war anders. Wie soll ich hier morgens meine Haferflocken kochen? Ich wusste es nicht mehr. Nur, weil Küche, Geschirr und Besteck anders waren. Wie führe ich ein Leben in einer Einzimmerwohnung ohne Möglichkeit des Raumwechsels? Wie etabliere ich hier meine Routinen?

Meine Routinen und Rituale haben plötzlich alle keinen Sinn mehr ergeben. Meine Uhrzeiten haben keinen Sinn mehr ergeben. Nichts hat mehr Sinn ergeben. Ich war völlig lost.

 

Ich habe meinen Hund schrecklich vermisst! Das Kuscheln, das gemeinsame Gassigehen…

 

 

 

Burnout bei Autismus: Foto von der Autorin und ihrem Hund. Das Bild ist im elterlichen Wohnzimmer aufgenommen. Sie liegt auf dem Boden und lächelt in die Kamera, auf ihrem Bauch liegt der Hund und lächelt ebenfalls in die Kamera

Ich wusste, ich brauche Ruhe und meinen sicheren Ort. Aber den hatte ich nun nicht mehr. Ich sehnte mich nach meinem Zimmer und „meinem“ Haus.

Klar, ich hätte jederzeit zurück nach Hause gekonnt. Meine Eltern haben über 3 Jahre lang mein Zimmer unverändert gelassen. Aber ich wollte mein eigenes Zuhause und meinen ganz eigenen Rückzugsort. Und ich wollte beweisen, dass ich das schaffe.

 

Eigentlich schaffte ich aber überhaupt nichts. Ich habe es nicht hinbekommen, für mich einzukaufen oder zu kochen und mich ausreichend zu ernähren. Ich konnte mich in dieser Wohnung nicht lange aufhalten und flüchtete mich in die Arbeit, die mich so sehr erschöpfte, dass ich die Wochenenden dann zwangsläufig quasi nonstop im Bett verbracht habe- ein ewiger Kreislauf.

Masking und das Bild nach Außen

Nach außen habe ich versucht, mein Umfeld davon zu überzeugen, alles würde perfekt laufen. Gerne habe ich erzählt, wie toll ich für mich einkaufen, meine Wohnung sauber halten und mir ganz tolle, fancy Gerichte zubereiten würde. Wie ich die neue Umgebung erkunde, schöne Spaziergänge mache und mich so richtig wohl fühlen würde.

 

Meine Eltern waren gegen meinen Auszug- aus Sorge. Dass ich es dennoch schaffe und Recht damit hatte, „meinen Safe Space“ zu brauchen und endlich mal runter kommen zu können, war mein oberstes Ziel.

 

Was ich tatsächlich gebraucht hätte? Eine Autismus-Diagnose, Verständnis für die Thematik und externe Unterstützung im Alltag- vor allem, was die Themen Tagesstruktur und Selbstversorgung betrifft.

Burnout bei Autismus vor der Diagnose- über therapeutische Missverständnisse

Ich begann erneut eine therapeutische Behandlung. Allerdings war meine Neurodivergenz damals noch unentdeckt und die Zeit war trotz allem Bemühen geprägt von Unverständnis, Missverständnissen und Frustration- auf beiden Seiten.

 

Es ist schade, aber nur wenige Therapeut:innen sind mit Neurodiversität vertraut. Fehlinterpretationen und Fehldiagnosen kommen häufig vor.  Die Abgrenzung eines Burnouts bei Autismus zum „Klassischen“ oder zu einer Depression ist schwierig und beides kann gleichzeitig auftreten. Aber die Unterscheidung ist dringend notwendig, denn therapeutische Ansätze können sich kontraproduktiv auswirken.

 

Inhalte der Therapie waren somit vor allem Ansätze der Aktivierung, von denen „rein“ depressive Menschen auch sehr profitieren können.

 

„Du musst mehr unter Leute!“

„Du brauchst Gleichaltrige um Dich herum!“

„Du musst aktiv Leute kennen lernen, die kommen nicht einfach so!“

„Du musst mehr raus an die frische Luft!“

 

Ich habe all das probiert. Ich habe Verabredungen ausgemacht, aber sie haben mich nur noch mehr erschöpft. Ich hatte damals keine Menschen um mich, vor denen ich nicht maskieren muss. Und genau das- Kontakte mit hohem Anpassungsdruck, am besten noch im Gruppensetting- war eben Gift. Aber, das habe ich damals noch nicht verstanden. Ich dachte: ich muss das doch einfach genießen und wie alle anderen ein „normales Leben“ leben.

 

Ich war sogar auf einem Date! Mit einem Typen! Well, da hab ich noch sehr viel über mich nicht verstanden…

 

Ich habe mich mit ehemaligen Schulkamerad:innen verglichen und gesehen, was sie so machen. Sie reisen, erleben Abenteuer, gehen Surfen oder Campen, studieren an großen Hochschulen, genießen ihr Studileben, gehen auf Partys und scheinen sich 24/7 in Gruppen aufzuhalten.

Ich hingegen machte gar nichts- außer Arbeiten und auf meinen 27 Quadratmetern dahinvegetieren.

Ich habe es einfach nicht verstanden. Wieso kann ich das nicht? Wieso kann ich sowas nicht genießen? Wieso bin ich so? Muss ich es einfach mehr üben?

 

Nach meinem zweiten Klinikaufenthalt versuchte ich genau das und nahm mir viel viel viel zu viel vor. Ich bin gleich wieder arbeiten gegangen, dachte, ich müsse mich regelmäßßig verabreden und Dinge unternehmen. Ich war in Schwimmbädern und auf Konzerten- und jedes mal danach: tage- bis wochenlange Erschöpfung und depressive Episoden. Ich dachte, das gibt es doch nicht! Wieso hilft denn einfach so gar nichts? Ich mache doch alles, was „glücklich“ macht!

 

Aber: bin ich überhaupt „traurig“?

 

Wieder dachte ich, ausbrechen zu müssen. Diesmal wollte ich gleich das ganze Land verlassen und einfach mal allein verreisen. Junge Menschen machen sowas, gehen Risiken ein, erleben jugendlichen Leichtsinn, sammeln wertvolle Erfahrungen.

Ich muss das auch.

 

Und so flog ich allein nach Spanien- nicht einmal, sondern gleich zweimal. Weil es natürlich schrecklich war, in einer fremden Umgebung ohne feste Routinen und Sicherheit. Ich dachte, ich müsse das einfach nochmal versuchen- diesmal unter angepassten Bedingungen.

Sprachschule für die Routine.

Eigene Ferienwohnung als Rückzugsort und Möglichkeit zur Selbstversorgung statt ranzigem Hostelzimmer.

Wieder derselbe Ort, den ich nun zumindest ein bisschen kannte.

Gleich zwei Wochen statt nur fünf Tage wie beim ersten Mal.

Ich muss mich bestimmt einfach gewöhnen.

 

Doch der Gewöhnungseffekt blieb aus. Ich wollte einfach wieder nach Hause und war danach völlig erschöpft. Meine Symptome verschlechterten sich erneut rapide.

 

Ich habe es nicht verstanden. Bin ich ein Alien und muss gleich den ganzen Planeten verlassen?

 

In der Therapie führte der fehlende Fortschritt zu erheblicher Frustration auf beiden Seiten. Und die beidseitige fehlende Berücksichtigung (damals noch nicht identifizierter) autistischer Bedürfnisse hatte langfristige Folgen.

Selbst- vs. Außenwahrnehmung- eine Diskrepanz, die nicht länger zu übersehen ist

Ich war nun überzeugt: Es liegt an mir. Ich bin einfach falsch. Ich fühlte mich verloren, wertlos, nutzlos. Wieso hilft denn einfach so gar nichts? Ich dachte nun langsam, mein Fall sei einfach hoffnungslos, weil ich nichts gefunden habe, das hilft. Ich schämte mich sehr für mein „Versagen“ und ließ mein Umfeld glauben, ich hätte alles im Griff.

 

Was sagt man denn auch, wenn man ständig gefragt wird: „Na, wie läuft die Uni? In welchem Semester bist du denn inzwischen?“, „Und wie läuft die Arbeit?“, „Hast du denn inzwischen einen Freund?“…?

 

Nach Außen habe ich bewusst, viel und ausführlich von diversen Unternehmungen, Reisen und Verabredungen erzählt. Je „normaler“ mein Leben wirkte, je mehr ich mich genauso verhalten habe, wie Gleichaltrige, desto „gesünder“ wirkte ich. Dieses Bild galt es zu bewahren- das war mein oberstes Ziel.

 

Aber dafür hätte ich ein bisschen mehr essen müssen, das habe ich verkackt.

 

Verständlich also, dass meine Familie besorgt war. Meine Masking-Fähigkeiten ließen nach und ich versuchte nicht mehr, mit viel Aktivität für meine psychsiche Gesundheit zu kämpfen. Ich wollte alleine sein und in Ruhe gelassen werden.

Burnout bei Autismus, ein mentales und körperliches Systemversagen- nun mit Diagnose

Erst im Herbst 2024 erhielt ich meine Autismus-Diagnose, nachdem ich erstmalig eine Therapeutin fand, die mich verstand, sah und annahm.

 

2024 war ein absolutes Chaos. Ich war sehr krank und verlor meinen nächsten Job aufgrund zu langer Abwesenheit. Ich versuchte wieder, viel zu unternehmen und bin geflüchtet vor mir selbst. Ich schrieb mich in eine noch größere Hochschule ein, weil ich irgendwie immer noch dachte, einfach ein „normales“ Studileben zu brauchen. Und habs da ganze 3 mal für maximal 2 Stunden innerhalb von 4 Semestern hingeschafft. Wieder find ich einen neuen Job an, doch nach wenigen Tagen wurde ich krank.

Im Winter schließlich versagten alle Systeme und mein Körper ging kaputt. Er war einfach zu schnell.

 

Ich kam im Januar 2025 wieder in eine Klinik wegen der Essstörung und erhoffte mir sehr, nun endlich mal so richtig auftanken zu können! Ich kämpfe täglich mindestens 10 Kämpfe gleichzeitig- das sollte nun ein Ende haben.

Wenn Klinikstrukturen neurodivergente Bedürfnisse nicht mitdenken

Die Klinik war um ein Vielfaches größer und voller als meine erste und zweite Klinik. Der Speisesaal glich einer Unimensa, überall war Gedränge, Enge und Lautstärke- viel zu viele Menschen, begleitetes Essen an großen Gruppentischen (und da gehen im Essstörungsbereich nochmal ganz spezielle sozialen Dynamiken ab), überwiegend Gruppentherapien in viel zu kleinen Räumen … Eine autistische Hölle.

 

Ich war- mal wieder- damit konfrontiert, dass sowohl Ärzt:innen, als auch Therapeut:innen während ihres Studiums und ihrer Ausbildung einfach NICHTS über Autismus und Neurodiversität zu lernen scheinen. Und somit war es nicht verwunderlich, dass für meine massive Überforderung und mein Verhalten wenig Verständnis existierte. Zudem war ich offenbar der erste Alien, der dort hereingewackelt ist. Woher sollten sie es also auch besser wissen…?

 

Meine ambulante Therapeutin hat sich mit mehreren Briefen und einem langen Telefonat sehr für mich eingesetzt und so für viel Aufklärung gesorgt, woraufhin sich das Team sehr bemüht war, irgendwie das Beste aus dieser Behandlung für mich herauszuholen.

 

Für mich war es dennoch frustrierend. Ich wurde in meiner Annahme, einfach überall falsch, zu viel und zu anders zu sein, sehr klar und deutlich bestätigt. Es gibt noch nicht einmal eine Klinik für mich. Was mache ich denn dann mit mir? Notschlachten??? 

 

Bei all den Panikattacken, die stetig häufiger und intensiver wurden, Shutdowns und Meltdowns war ich mehrfach kurz davor, die Behandlung abzubrechen. Aber mit welcher Perspektive? Mein Körper war kaputt und ich musste ihn reparieren. Das hatte absolute Priorität. 

 

Also hab ich es durchgezogen.

Leben im anhaltenden autistischen Burnout

Mein Leben gestaltet sich seitdem allerdings deutlich anders. Ich habe das Gefühl, es geht einfach so gar nichts mehr, obwohl es meinem Körper besser geht. Ich bin viel reizoffener als vorher. Umgebungen und Settings, die ich früher irgendwie meistern konnte, sind heute undenkbar. Ich hatte auch nach der Klinik noch Panikattacken. Ich bin wochenlang im Voraus überfordert und gestresst, wenn mir eine Woche mit vielen Terminen bevorsteht. Ich kriege manchmal einfach nichts zustande- und bin trotzdem erschöpft, weil ich auch nicht entspannen kann. Ich habe das Gefühl, aus diesem Zustand nie wieder heraus kommen zu können. Das macht mir Angst.

 

Es fühlt sich für mich an wie eine pausenlose Mischung aus Erschöpfung, Anspannung und Überforderung. Und das ist einfach ein reudiger Zustand.

 

Ist das meine neue Lebensrealität?

 

Nein. Aber ich muss mich ausreichend regenerieren, damit es besser wird. 

ADHS vs. Depp rest- wenn Autismus und ADHS mal wieder Streit haben

Der Weg aus einem Burnout bei Autismus heraus braucht meistens erstmal eine akute Erholungsphase. Vermutlich hätte ich mich nach der Klinik einfach ein paar Wochen radikal und konsequent einbunkern müssen. Danach war und ist mir zumute.

 

Aber mein ADHS kann das einfach nicht. Ich komme einfach nie zur Ruhe. Auch, wenn ich körperlich gesehen nur daliege, sucht mein Hirn ständig neue Reize. Ich habe dann den Fernseher laufen, während ich dämlich auf meinem Handy hin und her scrolle, daneben liegt noch ein Buch und parallel mache ich dumme Sachen- bestelle irgendwas oder so.

 

Völlig überreizt und erschöpft entstehen auch die wildesten Ideen, bei denen ich denke, die unbedingt machen zu müssen: Mal den ganzen Scheiß aus meinem Kofferraum und meiner Abstellkammer ausmisten und bei Ebay verkaufen (Wer meinen Best of Both Worlds Bericht gelesen hat, kennt das Drama), mal wieder der Tante xy schreiben, etwas für jemanden backen, diverse Häkelprojekte, denen ich nicht ansatzweise gewachsen bin…

 

Resultat: planen und nicht umsetzen oder plötzlich abbrechen und danach zusätzlich erschöpft und frustriert im Chaos sitzen.

 

Aber wie komme ich dann endlich aus diesem Burnout raus?

Strategien, die mir im autistischen Burnout helfen

Besonders wichtig sind für mich feste Routinen und Abläufe. Wenn eine Woche möglichst wenige Ausnahmen gibt- wie zum Beispiel für Termine- gibt mir das Stabilität, Sicherheit und so auch mehr Energie.

 

Mir hilft es, lange im Voraus zu planen und realistisch einzuschätzen, wie viel Energie mich was kosten wird und den Rest dann dementsprechend zu planen. Wenn ich in einer Woche Termine habe, die mit starker Überforderung verbunden sind, dann ist das einfach nicht die richtige Woche, um mich zu verabreden oder mir irgendetwas zusätzlich aufzuladen. Auch, wenn mein ADHS dann gerne „sich endlich mal“ um zehn Baustellen gleichzeitig kümmern möchte. Da kommt sowieso nichts dabei rum und mir hilft da dann ein deutliches- und manchmal auch laut ausgesprochenes- „Stopp!“.

 

Ich lerne, gezielte Pausen für sensorische Regulation einzuplanen. Besonders gerne lümmel ich mich dann in meinen Hängesessel, dunkel meine Wohnung ab und je nachdem, wie dolle der Kopf brummt, höre ich entweder Musik oder schaue mir ein Buch an. Bewährte Titel oder Playlists in Dauerschleife, eine mehrfach durchgeschaute Serie, ein bekanntes Buch- all das bringt mich zur Ruhe. Ich liebe zum Beispiel Fotobücher und es ist mir auch egal, wie oft ich sie mir bereits angesehen habe.

Von meinen Eltern habe ich zwei Biografien über Miley Cyrus mit wenig Text und schönen Bildern zum Geburtstag geschenkt bekommen, die ich mir momentan gerne und immer wieder anschaue.

Seit Kurzem nutze ich auch Duftöle– besonders, wenn es mir schwer fällt, in die Entspannung zu kommen.

Burnout bei Autismus: Zu sehen sind drei Duftöle (In Balance, Frische Luft, Schlafwohl) mit einem Aromastein davor

Meine Ziele für den weiteren Weg

All diese Strategien sind jedoch noch ausbaufähig. Langzeitplanung, realistische Zielsetzung, Pausenmanagement, Einschätzen der eigenen Ressourcen- tendenziell Dauerthemen, an denen ich arbeiten muss.

 

So auch das Thema mit der Selbstfürsorge und -akzeptanz. Mir fällt es oft schwer, zu akzeptieren, dass ich auch „ohne Grund“ überfordert sein und nichts schaffen kann. Doch genau an solchen Tagen brauche ich ganz viel Ruhe und Selbstfürsorge!

 

Ich werde hoffentlich bald auch Unterstützung durch eine Assistenzkraft bekommen und möchte lernen, mich auf diese neue Person einzustellen und die Unterstützung anzunehmen. „Banale“ alltägliche Dinge, Strapazen und Hürden werden dann hoffentlich leichter.

 

Ganz essenziell, für mich aber besonders herausfordernd, ist ein selbstbewusster Umgang mit meinen eigenen Grenzen und neurodivergenten Bedürfnissen. Ich muss lernen, sie ganz klar und deutlich zu kommunizieren, ohne Erklärung oder Rechtfertigung.

Burnout bei Autismus- kein Zustand für immer

Ich frage meine Therapeutin oft: „Wann hört das endlich auf?“. Aber der Prozess der Regeneration ist super individuell und zeitlich nicht absehbar oder definiert. Diese Ungewissheit und Unvorhersagbarkeit hassen wir natürlich. Es gibt keine Checkliste zum Abhaken und dann ist der Burnout vorbei oder so.

 

Aber es gibt Anzeichen der Besserung oder erneuter Verschlechterung, an denen wir uns orientieren können. Ich merke zum Beispiel, dass es mir in einer Woche mit wenigen Terminen und Aufgaben deutlich besser gelingt, selbstfürsorglich für mich zu handeln. Ich merke, ein kleines bisschen aufzutanken und blicke positiver in die nächste Woche. Hingegen führt eine stark überfordernde Woche dazu, dass mich gleich das ganze Jahr überfordert und mir alles zu viel ist. Selbstfürsorge gelingt dann nicht mehr und die Regeneration wird dadurch und durch unzureichende Erholung erschwert.

Wann ich glaube, dass mein autistischer Burnout vorbei ist

Recovery, Regeneration und Prävention eines Burnouts bei Autismus sind ein Prozess der Selbstannahme und Anpassung des eigenen Lebens.

 

Nach jahrelanger Selbstabwertung und Selbsthass aufgrund meines Ichseins und dem Unwissen darüber, wieso ich anders funktioniere, muss ich mich nun endlich von neurotypischen Maßstäben und Erwartungen lösen.

 

Ich erlebe die Welt und das Leben anders. Ein neurotypisches Leben als Vergleich und Maßstab dafür, wie kaputt oder ganz ich bin oder auch jegliche Wunschvorstellungen, wieder so zu „funktionieren“ wie früher oder plötzlich „normal“ zu werden, sind einfach reiner Bullshit.

 

Ich kann mein Leben trotzdem genießen. Denn: Was zählt ist meine eigene Wahrnehmung und mein Empfinden darüber, wann ich mich in meiner Teilhabe eingeschränkt sehe- und wann nicht.

Und das tue ich, wenn ich etwas möchte, es aber nicht schaffe oder es mir nicht gelingt.

Nicht aber, wenn ich versuche, etwas zu möchten und es mir danach einfach scheiße geht.

 

Ich weiß inzwischen besser, was mich erfüllt, welches Leben ich anstrebe und für mich wünsche.

Und noch viel besser: welches nicht. 

 

Bei der Gestaltung meines Lebens geht es um meine ganz persönliche Wahrnehmung darüber, was Lebensqualität für mich bedeutet.

Und Lebensqualität bedeutet für mich vor allem ein Leben gemäß meinen neurodivergenten Bedürfnissen mit körperlicher und psychischer Gesundheit.

 

Mein autistischer Burnout ist somit nicht vorbei, wenn ich wieder hochmaskierend durch die Welt gehe, ein neurotypisches Leben anstrebe, meine Bedürfnisse und Grenzen ignoriere und mich erneut jahrelang völlig verausgabe.

 

Mein autistischer Burnout ist dann vorbei, wenn ich mein Leben meinen Bedürfnissen und Grenzen angepasst habe und dabei Lebensqualität verspüre.

 

Denn: Egal, wie mein Umfeld auf meine Andersartigkeit und meine Lebensführung reagiert. Und egal, wie oft ich gespiegelt bekomme, dass ich zu kompliziert, zu viel und gleichzeitig zu wenig bin.

 

Ich bin okay.  

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