Wichtige Begriffe und ihre Bedeutung
Hier findest du eine Auswahl zentraler Begriffe rund um Neurodivergenz, die dir helfen können, unsere Inhalte besser einzuordnen. Kurz erklärt und mit dem Ziel, Orientierung schaffen. Für einige Begriffe haben wir ausführliche Artikel hinterlegt. Du findest diese, wenn du auf Mehr dazu… klickst.
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Grundbegriffe
Neurovarianz
Ein soziologisches Konzept, das neurologische Unterschiede als natürlichen Bestandteil menschlicher Vielfalt versteht und nicht als Mangel.
Neurodivergenz
Eine neurologische Variation, die vom neurologischen Standard abweicht, etwa Autismus, ADHS oder Dyslexie. Neurodivergenz ist keine Störung, sondern ein Teil menschlicher Vielfalt. Mehr dazu…neurotypisch
Bezeichnung für Menschen mit einer „typischen“ neurologischen Entwicklung, also ohne neurodivergente Merkmale im engeren Sinne.neuroaffirmativ
Ein Ansatz, der neurodivergente Perspektiven nicht pathologisiert, sondern als wertvoll anerkennt – in Therapie, Pädagogik und Alltag.
Inklusion
Ein gesellschaftliches Prinzip, das Vielfalt als Normalfall anerkennt und darauf abzielt, allen Menschen – unabhängig von Behinderung, Neurodivergenz oder anderen Differenzmerkmalen – gleichberechtigte Teilhabe zu ermöglichen.Ableismus
Bezeichnung für diskriminierende Einstellungen, Strukturen und Praktiken gegenüber Menschen mit Behinderungen oder als behindert wahrgenommenen Personen. Ableismus beruht auf der Annahme, dass bestimmte körperliche oder geistige Fähigkeiten „normal“ und erstrebenswert seien – und andere minderwertig oder zu vermeiden.Erleben und Verhalten
Masking und Camouflaging
Strategien, mit denen neurodivergente Menschen ihre Merkmale verbergen oder anpassen, um sozial akzeptiert zu werden. Oft mit hoher innerer Belastung verbunden. Mehr dazu…
Unmasking
Der bewusste Prozess, soziale Anpassungsstrategien (Masking) abzulegen und eigene neurodivergente Ausdrucksweisen zuzulassen. Unmasking kann zur Entlastung beitragen, erfordert jedoch oft Zeit, Sicherheit und Selbstreflexion. Mehr dazu…
Stimming
Selbstregulierendes oder -stimulierendes Verhalten, z. B. Wippen, Summen oder mit Gegenständen spielen. Dient oft der Regulation von Reizen oder Emotionen und ist eine legitime Form der Selbstfürsorge.Spezialinteresse
Ein intensiv verfolgtes Interessensgebiet, das tiefe Zufriedenheit und Fokus bringt; häufig bei Autist:innen beobachtbar, aber nicht nur.
Hyperfokus
Zustand intensiver Konzentration, oft bei ADHS oder Autismus. Kann je nach Kontext ultra produktiv oder überfordernd wirken.
Hyperempathie
bezeichnet eine erhöhte Empfänglichkeit für die Emotionen, Stimmungen und nonverbalen Signale anderer Menschen. Sie kann sich in intensiver emotionaler Resonanz, Überwältigung durch fremde Gefühle oder dem Drang äußern, emotionalen Schmerz anderer zu lindern – oft auch auf Kosten der eigenen Grenzen. Hyperempathie wird häufig bei autistischen Menschen berichtet entgegen der gängigen Stereotypen über angeblich mangelndes Einfühlungsvermögen.Rebound-Erschöpfung
Zustand starker körperlicher, geistiger oder emotionaler Erschöpfung, der nach einer Phase intensiver Selbstkontrolle, Anpassung oder Überkompensation einsetzt. Im Kontext von AuDHD oder Autismus tritt sie häufig nach längerem Masking auf. Sobald die belastende Situation endet (z. B. nach einem Arbeitstag oder einem sozialen Ereignis), fällt die angespannte Selbstregulation ab, was zu einem „Zusammenbruch“ der Kräfte führen kann. Typisch sind Reizüberflutung, Rückzugsbedürfnis, emotionale Reizbarkeit oder völlige Erschöpfung.
Skill regression
Zeitweiser Verlust zuvor vorhandener Fähigkeiten – z. B. im Bereich Sprache, Exekutivfunktionen oder Alltagsbewältigung. Skill Regression kann bei neurodivergenten Menschen auftreten, insbesondere unter starker Belastung, nach traumatischen Erfahrungen oder im Kontext von Autistic Burnout. Anders als bei degenerativen Erkrankungen ist dieser Rückgang meist reversibel. Er spiegelt keine „Rückentwicklung“ wider, sondern eine Überlastung des Nervensystems. Die Ursachen sind häufig sozial oder umweltbedingt.
Dissoziation
Dissoziation beschreibt einen Zustand, in dem das Erleben von Gedanken, Gefühlen, Körperempfindungen oder der Umwelt vorübergehend verändert, abgespalten oder nicht zusammenhängend ist. Sie kann sich z. B. als Gefühl der Unwirklichkeit, emotionale Abwesenheit oder als Erinnerungslücken äußern und bei neurodivergenten Menschen in Zuständen der starken Anspannung und Überreizung auftreten.
Emotionale Dysregulation
Schwierigkeiten, Emotionen in Intensität, Dauer oder Ausdruck zu steuern. Betroffene erleben Gefühle oft als überwältigend, unverhältnismäßig stark oder langanhaltend und finden es herausfordernd, sie situationsangemessen zu verarbeiten.Invalidierung
Invalidierung bezeichnet die Erfahrung, dass eigene Gedanken, Gefühle oder Wahrnehmungen von anderen systematisch abgesprochen, abgewertet oder als „falsch“ dargestellt werden. In Bezug auf neurodivergente Menschen geschieht dies häufig durch Kommentare wie „Das bildest du dir nur ein“ oder „So schlimm kann das doch nicht sein“.
Bagatellisierung
Das Herunterspielen oder Verharmlosen von Problemen, Erfahrungen oder Symptomen, indem deren Bedeutung, Intensität oder Auswirkungen bewusst oder unbewusst kleingeredet werden.
Insbesondere im Kontext neurodivergenter Erfahrungen kann dies entwertend wirken und strukturelle Missstände oder individuelle Belastungen unsichtbar machen.
Scripting
bezeichnet eine häufige Kommunikationsstrategie vieler autistischer Menschen, bei der vorbereitete oder einstudierte sprachliche Abläufe (z. B. Begrüßungen, Smalltalk, Gesprächsfloskeln) verwendet werden, um soziale Interaktionen besser bewältigen zu können. Diese „Skripte“ können aus Medien übernommen oder selbst entwickelt sein. ScriptingDiagnostik und Fachbegriffe
ICD-10 & ICD-11
Internationale Klassifikationssysteme für medizinische Diagnosen. In Deutschland ist (noch) die ICD-10 Standard, die ICD-11 ist differenzierter und aktueller.
DSM-5 & DSM-5-TR
US-amerikanisches Diagnosesystem mit umfangreichen Kriterien für Autismus, ADHS und andere neurodivergente Profile.ADHS
Ein neurobiologisches Profil, das sich durch besondere Reizoffenheit, Impulsivität und Herausforderungen in der Alltagsstrukturierung auszeichnen kann. Oft bestehen auch Stärken wie Hyperfokus, Kreativität und ungewöhnliche Problemlösefähigkeiten. ADHS zeigt sich je nach Kontext, Geschlecht und Alter sehr unterschiedlich – besonders bei Frauen und nichtbinären Menschen wird es oft spät oder gar nicht erkannt. Der Begriff „Störung“ wird aus neuroaffirmativer Perspektive kritisch gesehen. Mehr dazu…
Autismus
Kurz für Autismus-Spektrum-Störung. Ein neurodivergentes Wahrnehmungs- und Verarbeitungsspektrum, das mit spezifischer Reizverarbeitung, tiefem Bedürfnis nach Vorhersagbarkeit und Schwierigkeiten in der sozialen Kommunikation und Interaktion einhergeht. Autistische Menschen erleben oft eine starke Differenz zwischen Innen- und Außenwelt. Autismus ist keine Krankheit, sondern Teil menschlicher Vielfalt. Schwierigkeiten entstehen häufig durch fehlende Passung mit der Umwelt, nicht durch ein „Defizit“. Mehr dazu…
allistisch
Menschen, die nicht autistisch sind, werden als allistisch bezeichnet. Diese Menschen können neurotypisch sein, sie können aber auch auf eine andere Art neurodivergent sein. Allistisch bezeichnet einfach nur das Fehlen von Autismus.
AuDHD
Bezeichnung für Menschen, bei denen sowohl Autismus als auch ADHS vorliegt. Diese doppelte Neurodivergenz bringt einzigartige Herausforderungen, aber auch besondere Stärken mit sich – z. B. der gleichzeitige Wunsch nach Struktur (autistisch) und Bedürfnis nach Abwechslung (ADHS). Viele AuDHDs erleben innere Widersprüche, hohe Reizoffenheit und intensive Emotionsverarbeitung. Die Kombination wird oft übersehen oder missverstanden. Mehr dazu…
Exekutivfunktionen
Kognitive Steuerungsprozesse wie Planen, Fokussieren, Priorisieren oder Impulskontrolle. Bei vielen ND-Personen anders oder variabel ausgeprägt.
Kognitive Rigidität
Die Tendenz, Denk- oder Verhaltensmuster nur schwer verändern zu können – auch bei neuen Informationen, veränderten Umstände oder alternativen Perspektiven. Sie kann sich z. B. in Schwierigkeiten beim Perspektivwechsel, bei der Umstellung von Routinen oder im Umgang mit Veränderungen zeigen.Zeitblindheit
bezeichnet die Schwierigkeit, Zeit realistisch einzuschätzen, zu planen und im Alltag zu berücksichtigen. Betroffene verlieren das Gefühl dafür, wie lange etwas dauert, wann ein Zeitpunkt naht oder wie viel Zeit sie für eine Aufgabe benötigen. Zeitblindheit ist ein häufiges Merkmal bei ADHS und kann zu chronischem Zuspätkommen, Prokrastination, Terminvergessen oder impulsiven Entscheidungen führen.
Alexithymie
Schwierigkeiten, eigene Gefühle zu erkennen, zu benennen und zu beschreiben. Sie betrifft die emotionale Selbstwahrnehmung, nicht das Vorhandensein von Gefühlen selbst. Alexithymie tritt häufig bei autistischen Menschen auf, ist aber keine spezifisch autistische Eigenschaft.
Prokrastination
Das wiederholte Aufschieben von Aufgaben, obwohl deren Erledigung eigentlich beabsichtigt ist. Prokrastination ist kein Zeichen von Faulheit, sondern kann Ausdruck innerer Barrieren wie Überforderung, Reizüberflutung, Angst oder exekutiver Dysfunktion sein – insbesondere bei neurodivergenten Personen.